Episode 3:
virtuelle Mitglieder-versammlung

Die virtuelle Mitglieder-versammlung. Ist das die Zukunft?

Seit Beginn der Corona-Pandemie sind digitale Formate in nahezu allen Lebensbereichen verstärkt in den Fokus geraten. In Zeiten, in denen physische Kontakte reduziert werden sollen, bieten Videokonferenzen eine Alternative. Das gilt für private Stammtische genauso wie für berufliche Abteilungskonferenzen und betrifft auch weitere gesellschaftliche Bereiche. So hielten Aktiengesellschaften ihre Jahreshauptversammlungen virtuell ab und auch Vereine organisierten virtuelle Mitgliederversammlungen.

Der Gesetzgeber hat dem Umstand, dass Präsenzveranstaltungen nicht oder nur bedingt stattfinden können, mit dem Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie (Covid-19-MaßnG) Rechnung getragen. Somit wird Vereinen die Möglichkeit eingeräumt, Mitgliederversammlungen inklusive der Stimmabgabe im Rahmen elektronischer Kommunikation durchzuführen. Diese Gesetzesänderung war notwendig, weil das Vereinsrecht physische Präsenzsitzungen vorsieht, sofern die jeweilige Vereinssatzung nichts Anderes vorsieht.

Die Satzung des 1. Fußball-Club Köln 01/07 e.V. sieht gemäß § 13 Absatz 1 ein solches Präsenzverfahren vor. Allerdings besteht gemäß § 13 Absatz 2 die Möglichkeit einer virtuellen Versammlung. Der Vorstand benötigt für die Durchführung eines solchen virtuellen Verfahrens die Zustimmung des Mitgliederrates. Bisher wurde von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. In Zeiten der Pandemie wurden auch im Umfeld des FC schnell die Forderungen nach einer virtuellen Mitgliederversammlung lauter.

Oftmals wird die pandemische Ausnahmesituation dabei nur scheinbar ins Feld geführt. Stattdessen wird argumentiert, dass die bisher übliche Form der Präsenzveranstaltung für einen Verein mit über 100.000 Mitgliedern weder zeitgemäß noch repräsentativ sei. Besonders der Angriff auf die Repräsentanz der bisherigen Mitgliederversammlungen wiegt dabei schwer. Die Mitgliederversammlung ist das höchste Organ eines jeden eingetragenen Vereins. Jedes Mitglied hat dabei das Recht zur Teilnahme an der Versammlung, um die Geschicke des Vereins mitzubestimmen. Die Kritiker suggerieren nun aber, dass die verhältnismäßig geringe Zahl an Teilnehmern im Vergleich zur gesamten Mitgliedschaft keine repräsentativen Ergebnisse liefere. Sie unterstellen einfach eine (angeblich) schweigende Mehrheit, die gänzlich andere Entscheidungen als die Minderheit der an den Mitgliederversammlungen teilnehmenden Mitglieder getroffen hätte. Diese Argumentation kennt man seit einigen Jahren aus den USA. Donald Trump wurde nicht müde zu betonen, dass sich die angeblich schweigende Mehrheit gegen das vermeintliche Washingtoner Establishment auflehnen müsse. Auch Friedrich Merz bediente sich dieser Argumentation im Rahmen seines erfolglosen Versuches Vorsitzender der CDU zu werden. Im Kern steckt hinter dieser Argumentation nichts anders als eine Verachtung demokratischer Prozesse, sofern diese nicht zu einer Entscheidung im eigenen Sinne führen.

Die Argumentation vernachlässigt nämlich den Fakt, dass die vergangenen Mitgliederversammlungen sehr wohl einen repräsentativen Querschnitt der Mitgliedschaft geboten haben. Zu diesem Schluss kommt auch der aktuelle Vizepräsident des 1. FC Köln, Dr. Carsten Wettich, im Interview mit der Kölnischen Rundschau: „Wer bei den Mitgliederversammlungen der letzten Jahre dabei war, hat dort das breite Spektrum der anwesenden Mitglieder erlebt, dass ein gutes Abbild der Mitgliedschaft darstellt.“ Die immer wieder in verschiedenen Foren verbreitete Mär von einer kleinen überrepräsentierten Gruppe auf den vergangenen Mitgliederversammlungen wurde bisher nie belegt. Sie wird aber regelmäßig wiederholt, um sie auf diesem Weg zum vermeintlichen Faktum zu machen. Das erinnert sehr stark an das Vorgehen von Trump in den USA.

Selbstverständlich ist eine möglichst hohe Wahlbeteiligung bei allen demokratischen Prozessen wünschenswert. Diesem Wunsch wird auch durch die Gremien des 1. FC Köln immer wieder Rechnung getragen. Sei es durch die Wahlaufrufe oder die Verlegung der Veranstaltung auf einen Tag am Wochenende, um Mitgliedern mit einer weiteren Anreise so die Teilnahme zu erleichtern.

Allerdings hat sich diese Verlegung auf das Wochenende als Trugschluss herausgestellt. Die letzte Mitgliederversammlung des 1. FC Köln im September 2019 fand an einem Sonntag statt. Obwohl sich im Rahmen dieser Versammlung ein neues Vorstandsteam zur Wahl stellte, nahmen „nur“ rund 3.500 Mitglieder an der Versammlung teil. Im Vergleich zu den Versammlungen der Jahre 2017 und 2018, die unter der Woche stattfanden, waren dies rund 3.000 Teilnehmer weniger. Dies mag auch auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass es im Jahr 2019 keine Prämie für die Teilnahme an der Mitgliederversammlung gab. Aber alleine damit lässt sich das nicht erklären. Hinzu kommt, dass Anreize für die Teilnahme an einer Veranstaltung in Zusammenhang mit Aufrufen zu einem bestimmten Wahlverhalten sehr bedenklich sind. Dem Missbrauch wird so Tür und Tor geöffnet, weswegen Prämien für die Ausübung demokratischer Rechte der falsche Weg sind.

Es gibt kein Patentrezept für die Erhöhung der Teilnehmerzahl an Mitgliederversammlungen.

Mitgliederabstimmung im klassischen analogen Stil

Die bisherigen Erfahrungen mit virtuellen Versammlungen von anderen Vereinen zeigen aber, dass sich die Anzahl der teilnehmenden Mitglieder erhöht. So nahmen im Dezember 2020 rund 4.000 Mitglieder des 1. FC Nürnberg an einer virtuellen Versammlung teil, während im Oktober 2019 nur 853 Mitglieder an der Präsenzmitgliederversammlung teilgenommen hatten. In Düsseldorf waren es im Dezember 2020 2.500 virtuelle Teilnehmer im Vergleich zu 714 Mitgliedern in Präsenz im November 2019. Der Karlsruher SC musste in Zeiten der Pandemie bereits drei virtuelle Mitgliederversammlungen durchführen. Dabei ist interessant zu sehen, dass die Zahl der teilnehmenden Mitglieder kontinuierlich zurückgegangen ist. Über die Gründe lässt sich aus der Ferne nur spekulieren. Es kann an der abnehmenden Brisanz der Tagesordnungen oder einer gewissen Müdigkeit im Umgang mit virtuellen Formaten liegen, es kann aber auch an einer Ablehnung des Formats durch die Mitglieder liegen, weil der lebendige Austausch fehlt. 

In Kaiserslautern haben sich vor der letzten Mitgliederversammlung rund 3.000 Mitglieder für die Teilnahme registriert, zu Beginn der virtuellen Veranstaltung waren 1.506 Mitglieder „anwesend“. Diese Zahl steigerte sich im Verlauf der Versammlung auf über 2.300 stimmberechtige Mitglieder. Bei Präsenzveranstaltungen ist dieser Trend eher gegenläufig. So waren zu Beginn der Mitgliederversammlung des 1. FC Köln 2017 6.400 Mitglieder anwesend und über den Antrag zu Satzungsänderung stimmten nur noch 4.600 Mitglieder ab.

Bei dieser Betrachtung darf nicht vernachlässigt werden, dass die Auseinandersetzung mit Kandidaten, Anträgen und Inhalten erst im Rahmen der Versammlung stattfindet. Dieser Austausch ist ein wesentliches Merkmal von Mitgliederversammlungen. Erste Erfahrungen zeigen, dass Rede- und Auskunftsrechte im Rahmen von Jahreshauptversammlungen von Aktiengesellschaften eingeschränkt werden. Die Aktionärsvereinigung DSW bezeichnete die reine Online-HV im Frühjahr als «zeitlich begrenzte Notlösung». Die «Beschneidung der Aktionärsrechte, etwa was das Fragerecht angeht oder die Möglichkeit, Beschlüsse gerichtlich anzufechten» sei «kritisch zu bewerten», befand DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. Der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) urteilte: «In der Hauptversammlungssaison 2020 gab es fundamentale Einschränkungen der Aktionärsrechte.» Die Hauptversammlung «als oberstes Kontrollorgan und Sprachrohr der Aktionäre» habe «aufgrund der Covid-19-Notgesetzgebung massiv gelitten».

Es steht also zu befürchten, dass durch Desinformationskampagnen in den sozialen Netzwerken (Online-)Abstimmungsverhalten beeinflusst werden kann und die (virtuellen) Mitgliederversammlungen zu reinen Abstimmungsveranstaltungen degradiert werden. Das würde den Charakter dieser (ur)demokratischen Veranstaltung zerstören.

Das Informationsbedürfnis kann zwar digital gestillt werden. Inwieweit man aber dem Mitbestimmungsrecht in seinem vollen Umfang, zu dem auch der Austausch von Argumenten gehört, gerecht werden kann, muss massiv in Zweifel gezogen werden. Mitgliederversammlungen dürfen nicht auf den Wahlvorgang reduziert werden.

Der aktuelle Standardton in den sozialen Medien tendiert immer weiter in demokratiefeindliche und menschenverachtende Richtungen. Im Rahmen von Mitgliederversammlungen in Präsenzform geht es teilweise auch emotional und hitzig zu, aber Formen von Hetze, wie man sie online findet, kann hier direkt von den anwesenden Mitgliedern und der Versammlungsleitung entgegengetreten werden. Dieses Korrektiv fehlt bei Online-Veranstaltungen.

Wie weit eine unzulässige Beeinflussung der Mitgliedschaft gehen kann, zeigte sich unlängst in Stuttgart. Vereinsfunktionäre und leitende Angestellte hatten rechtswidrig Daten von Mitgliedern an eine Werbeagentur weitergegeben, damit diese das Wahlverhalten der Mitglieder im Hinblick auf die Ausgliederung der Profiabteilung beeinflusst. Geschenke in Form eines Trikots gab es auch noch. Dem Antrag der Vereinsführung auf Ausgliederung wurde zugestimmt, mit großer Mehrheit. Noch heute gibt es Gerüchte, dass Abstimmungsgeräte unliebsamer Mitglieder manipuliert worden sein sollen, um sie von der Wahl auszuschließen.

Bei digitalen Formaten sind Manipulationen Tür und Tor geöffnet.

Generell sind die technischen Voraussetzungen für den reibungslosen Ablauf der virtuellen Veranstaltung sicherzustellen. Die Versammlung muss unterbrechungsfrei übertragen werden. Es muss sichergestellt sein, dass ausschließlich stimmberechtige Mitglieder teilnehmen und abstimmen dürfen. Das Auskunftsrecht der Mitglieder muss gewahrt werden. Zudem muss die Teilnahme barrierefrei sein. So dürfen sehbehinderte Fans nicht von der Versammlung ausgeschlossen werden. Dieser Ausschluss trifft auch ältere Mitglieder, die über keine E-Mail-Adressen verfügen und keine Affinität zur digitalen Lebenswirklichkeit haben. Da es sich bei der letztgenannten Gruppe zu großen Teilen um Risikopatienten handeln dürfte, verliert das Argument, gerade dieser Gruppe die Teilnahme in Zeiten der Pandemie zu ermöglichen, an Wirkung.

Die Vereinsführung des FC hat im vergangenen Herbst angekündigt, eine hybride Versammlung durchführen zu wollen. Demnach soll je nach pandemischer Lage ein Teil der Mitglieder in Präsenz zusammenkommen und der übrige Teil virtuell teilnehmen. Damit betritt der Verein in doppelter Hinsicht Neuland. Andere Vereine in der Größenordnung des 1. FC Köln wie Eintracht Frankfurt haben ihre Mitgliederversammlungen vorsorglich auf unbestimmte Zeit verschoben. So hat das Präsidium der Eintracht im Oktober 2020 bekannt gegeben: „Möglichkeiten einer digitalen Versammlung wurden eingehend geprüft. Allerdings ist eine Durchführung bei mehr als 90.000 Vereinsmitgliedern in einer vernünftigen und rechtssicheren Art und Weise kaum möglich.“ Über hybride Versammlungen gibt es zudem noch keine Erfahrungsberichte. Die Möglichkeit, eine Versammlung vorerst nicht durchzuführen, besteht dabei übrigens explizit. Die Abhaltung einer Mitgliederversammlung ist dann nicht erforderlich, wenn die Durchführung zu aufwändig ist. Dies gilt beispielsweise für fehlende technische Voraussetzungen.

Ob ein Verein, wie der 1. FC Köln ein so komplexes digitales Event sicher durchführen kann, wenn er regelmäßig schon bei Onlinevorverkäufen von Eintrittskarten scheitert, darf mit guten Gründen bezweifelt werden. Die Frage nach den Kosten einer Online-MV, ist bisher ebenfalls noch unbeantwortet.

Was bisher geschah

Episode 1: Der Teflon-Mann

Die Sage vom "Finanzgenie"
Alexander Wehrle

Episode 2: Der Teflon-Mann (Teil 2)

Die finanzielle Entwicklung des 1. FC Köln – mit Vollgas Richtung Insolvenz